11 Jun

Lesung Linda Winterberg 08.06.2018

„Ich kenne hier so viele Leute“, freut sich Nicole Steyer, als sie die rund fünfzig erwartungsvollen Zuhörer begrüßt, die der Einladung der Bermbacher Bücherei ins Gemeindehaus gefolgt sind. „Auch wenn ich heute anders heiße“, fügt sie lächelnd hinzu. Denn an diesem Abend liest Steyer, die vielen als Autorin spannender Mittelalter-Romane bekannt ist, unter dem Namen Linda Winterberg. „Ein anderer Verlag und eine andere Sorte Buch – das verlangt auch nach einem anderen Namen“ erläutert die sympathische junge Frau, die 1978 in Bad Aibling geboren wurde und mit ihrer Familie seit 2001 im Idsteiner Land lebt. „Solange die Hoffnung uns gehört“ ist bereits der zweite Roman, den sie als Linda Winterberg geschrieben und im atb-Verlag veröffentlicht hat.

Mucksmäuschenstill verfolgt das Publikum die Szene, die Winterberg mit ihrer klaren Erzählstimme als Einstieg in die Lesung gewählt hat. Der jungen Sopranistin Anni wird aufgrund ihrer jüdischen Herkunft im Herbst 1933 verboten, weiter an der Frankfurter Oper zu singen. Ihre kleine Tochter Ruth erlebt fassungslos, wie ihre bisherige Welt einstürzt. Die Repressalien, denen nicht nur ihre Familie, sondern die gesamte jüdische Bevölkerung ausgesetzt sind, nehmen zu, immer auswegloser wird die Situation. Vom Zwang, den Judenstern gut sichtbar an der Kleidung zu tragen, über die Weigerung vieler Länder, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen bis zur Reichspogromnacht im November 1938 nimmt die bedrückende Handlung ihren Lauf. Nachdem Annis Bemühungen, gemeinsam mit Ruth aus Deutschland auszureisen, scheitern, entschließt sie sich schweren Herzens, zumindest ihr Kind in Sicherheit zu bringen und mit einem der Kindertransporte nach England zu schicken. Nach der Pause liest die Autorin vom bewegenden Abschied der Beiden auf dem Frankfurter Hauptbahnhof.

Die „Kinderverschickung“ hat es wirklich gegeben, sie jährt sich in diesem Jahr zum achtzigsten Mal. Rund 10 000 jüdische Kinder traten ohne ihre Eltern die Reise ins Ungewisse an, die meisten von ihnen sahen weder ihre Familien noch ihre Heimat wieder. Auch Anni wird es nicht schaffen, ihrer Tochter nachzureisen.

Linda Winterberg hat die Figur der Ruth an die 1924 geborene Eva Heymann angelehnt, die als musisch sehr begabtes Kind mit einem der Kindertransporte nach England reiste. Ihr Vater kam im Konzentrationslager ums Leben. Über Amerika kam Eva in den 50er Jahren als gefeierte Koloratursängerin nach Deutschland zurück, wo sie im Sommer 2016 im Alter von 91 Jahren starb. Auch andrere lebende und verstorbene Personen, auf die sie bei der Recherche zu ihrer Geschichte gestoßen ist, haben Einzug in den einfühlsam geschriebenen Roman gehalten.

Nach der Lesung, für die sie viel Applaus erhält, signiert die Autorin zahlreiche Bücher, hat sie doch die Frage, ob sich Anni und Ruth jemals wiedersehen werden, offen gelassen. Während die Gäste dem üppigen, abwechslungsreichen Fingerfood-Buffet zusprechen, das das Büchereiteam nach jeder seiner ein- bis zweimal im Jahr stattfindenden Lesungen auftischt, drehen sich noch viele Gespräche um die tragische Geschichte der verschickten Kinder. Selbstverständlich kann „Solange die Hoffnung uns gehört“ ab sofort in der Bermbacher Bücherei ausgeliehen werden, ebenso wie viele andere Bücher der Autorin. Die Öffnungszeiten sind mittwochs von 17.30 Uhr bis 19.30 Uhr und freitags von 16 bis 18 Uhr, auch während der Sommerferien ist die Bibliothek geöffnet.